Die benötigte menschliche Arbeitszeit, um eine feste Menge an Gütern zu produzieren, sinkt jährlich. Trotzdem beträgt die durchschnittliche Arbeitszeit in Deutschland zurzeit 41 Stunden pro Woche. Der Druck an das Individuum und darauf, wie sein Arbeitsleben und eine vorbildliche Karriere aussehen soll, lässt nicht nach. Doch die Erhöhung unserer Arbeitsproduktivität, die der technische Fortschritt mit sich bringt, bietet viele Chancen. Folgende Gesellschaft ist weltweit möglich:
Alle Menschen erhalten ein bedingungsloses Grundeinkommen. Sie entscheiden individuell, ob sie 60, 28, 10 Stunden pro Woche arbeiten. Die Entscheidung gegen Lohnarbeit ist gesellschaftlich anerkannt. Insgesamt verrichten sehr viele Menschen gar keine oder nur sehr wenig Lohnarbeit. Die neu gewonnene Lebenszeit wird beispielsweise genutzt, um Verwandte zu pflegen, sich sozial zu engagieren oder sich künstlerisch auszuleben. Der Arbeitsmarkt regelt sich durch Nachfrage und Angebot, notwendige unbeliebte Arbeiten werden entsprechend hoch bezahlt. Unsere Güter werden in geschlossenen Materialkreisläufen in einer Koproduktion aus Technik und Natur hergestellt. Schulbildung generiert nicht nur produktive Arbeitskräfte für die Volkswirtschaft, sondern weckt Neugierde zum selbständigen Lernen, gibt Möglichkeiten zur freien Entfaltung und lehrt zwischenmenschliche Kompetenzen. Bildungsangebote sind kostenfrei, für alle zugänglich und auf lebenslanges Lernen ausgerichtet. In der Solidargemeinschaft leben alle Menschen sozial abgesichert und sorgenfrei. Sie sind zufrieden und sehen ihre Selbsterfüllung nicht in materiellen Statussymbolen. Unser Wohlstand wird nicht am Bruttoinlandsprodukt gemessen, sondern anhand von ökologischen und sozialen Entwicklungen dargestellt. Das Wirtschaftssystem ist nicht von Wachstum abhängig, die Umweltbelastung sinkt durch den voranschreitenden technischen Fortschritt. Lebensqualität und Ökologie sind vereint.
Stattdessen bewegen wir uns in die entgegengesetzte Richtung. Bereits in der Schule werden Kinder auf die Leistungsgesellschaft getrimmt. Allgegenwärtige Werbung erfüllt ihren Zweck, neue Konsumwünsche zu wecken. Dies ist politisch gewollt, denn Konsumsteigerung bedeutet Wirtschaftswachstum und unser Wirtschaftssystem ist von Wachstum abhängig. Politische und gesellschaftliche Herausforderungen werden mit der Forderung nach immer mehr Wachstum begegnet. Dabei wird nicht hinterfragt, woher dieses Wachstum stammt, denn der kapitalistische Wachstumszwang ist maßgeblich für die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen Klima, Wasser, Boden und Luft verantwortlich.
In unserer endlichen Welt ist unendliches Wachstum schlichtweg unmöglich. Wir müssen einen Weg finden, ohne Wirtschaftswachstum auszukommen. Dieser notwendige Prozess in ein nachhaltiges, wachstumsunabhängiges Wirtschaftssystem wird eine riesige Herausforderung und erfordert Veränderungen
aller gesellschaftlichen und politischen Bereiche. Gerade deshalb müssen wir schon heute damit beginnen, diesen Weg zu suchen.
Die Forderung aus dem Grünen Bundestagswahlprogramm, das BIP als Wohlstandsindikator durch einen Jahreswohlstandsbericht zu ersetzen, ist absolut richtig. Im Koalitionsvertrag einer möglichen Jamaika-Regierung dürfen Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum nicht als dauerhafte Ziele benannt werden. Ein aus staatlichen Mitteln finanziertes, interdisziplinäres Thinktank soll die Vision eines von Wachstum unabhängigen Wirtschaftssystems verfeinern und Vorschläge für den Veränderungsprozess aufbereiten. Die nächste Bundesregierung muss jetzt die Weichen stellen