Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Nopper,
sehr geehrter Herr Pätzold,
sehr geehrter Herr Fuhrmann
sehr geehrte Stadträt*innen,
ab März 2023 können Studierende, Schüler*innen und Azubis mit dem neuen BW-Jugendticket für
365€ im Jahr den Regional- und Nahverkehr in ganz Baden-Württemberg nutzen. Wir begrüßen
dieses Ticket, das für uns einen kleinen und längst überfälligen Schritt in Richtung einer klima- und
sozial gerechten Mobilitätswende darstellt.
Im Rahmen eines Austauschs mit Stadtrat Luigi Pantisano erfuhren wir, dass der Gemeinderat sich
bereits mit der Altersgrenze des BW-Jugendtickets befasst hat. Wir freuen uns über die von Ihnen
geplante Schaffung eines 365€-Tickets im VVS-Bereich für Meisterschüler*innen und
Auszubildende ab 27 Jahren.
Eine bislang leider nicht bedachte Gruppe sind Studierende ab 27 Jahren.
Das bisher in Stuttgart angebotene VVS-Studiticket wird zum 31.8 diesen Jahres aller Voraussicht
nach auslaufen. Ab September müssten jene Studierende also auf das 49 €-Ticket als
nächst“günstigste“ Lösung umsteigen, unabhängig davon, ob sie die bundesweite Nutzbarkeit
benötigen oder nicht. Somit ergibt sich nicht nur eine deutliche Verteuerung zum aktuellen
Studiticket, sondern auch eine klare Benachteiligung von Studierenden ab 27 Jahren gegenüber
ihren jüngeren Kommiliton*innen. Dies stellt eine aus unserer Sicht nicht hinnehmbare
Diskriminierung aufgrund des Alters dar, die einer sozial gerechten Mobilitätswende ebenso
diametral entgegensteht wie der oft beschworenen Bildungsgerechtigkeit. Im Gegensatz dazu
herrscht bei den verantwortlichen Landespolitiker*innen Zufriedenheit mit der jetzigen
Ausgestaltung des BW-Jugendtickets.
Über 100.000 Studierende in Baden-Württemberg profitieren nicht
Dabei sind Studierende mit vollendetem 27. Lebensjahr mitnichten eine Minderheit: Nach Daten
des statistischen Landesamtes sind 28% aller Studierenden im Land mindestens 27 Jahre alt.
Somit können in Baden-Württemberg 100.000 Studierende nicht vom neuen Jugendticket
profitieren.1 Die Landesstudierendenvertretung stellte im November 2022 dazu fest, dass die
Altersgrenze aus der Luft gegriffen scheint, da in der Altersverteilung bei der Anzahl von
27-jährigen im Vergleich zu vorherigen Altersstufen kein deutlich höherer Wertesprung vorhanden
ist.2
Ausgeschlossen werden so zum Beispiel Menschen, die vor ihrem Studium eine Ausbildung
absolvierten, sich im Master befinden oder aufgrund von Notlagen Nebenjobs annehmen mussten
und daraufhin länger studieren. Auch persönliche Schicksale wie Krankheiten oder Todesfälle
können dazu zwingen, ungewollt die Studienzeit zu verlängern.
Potenziell wird die Entlastung also gerade einer Personengruppe, welche diese mit am
dringendsten bräuchte, nicht geboten. Diese finanzielle Benachteiligung kann nicht nur auf
persönlicher Ebene fatale Folgen haben, sondern auch die Attraktivität des
Hochschulstandortes Stuttgart weiter schmälern. Erschwerend kommt hinzu, dass ältere
Studierende ohnehin mit Mehrbelastungen konfrontiert sind, zum Beispiel durch den Wegfall des
Kindergeldes.
Für uns junge Menschen, die seit vielen Jahren auf unterschiedlichsten Ebenen für
Bildungs- und Klimagerechtigkeit kämpfen, stellt die Altersgrenze von 27 Jahren einen
untragbaren Zustand dar und schmälert den an sich vorhandenen Fortschritt durch das
landesweite Jugendticket massiv.
Um zumindest den gröbsten Schaden abzuwenden, möchten wir Sie als Vertreter*innen der
Landeshauptstadt deshalb mit diesem Schreiben bitten, sich beim Land für den Wegfall der
Altersgrenze des BW-Jugendtickets stark zu machen. Entsprechende Versuche von
Studierendenvertreter*innen blieben leider bis zuletzt erfolglos.
Sollte sich keine unmittelbare Lösung auf Landesebene erzielen lassen, fordern wir die
Stadträt*innen und die Verwaltung der Stadt Stuttgart auf, eine Möglichkeit zu schaffen,
dass Studierende ab 27 Jahren – parallel zu Azubis und Meisterschüler*innen – ab
September 2023 für maximal 1€ am Tag den ÖPNV im VVS nutzen können.
Der von uns geforderte Wegfall der Altersgrenze soll lediglich eine Verschlechterung des Status
quo abwenden. Das kostenfreie Deutschlandticket für über 20.000 Beschäftigte der Stadt Stuttgart
zeigt hingegen, dass ein gerechter Zugang zum ÖPNV für viele Menschen möglich ist, wenngleich
sich hierdurch aus unserer Sicht massive Widersprüche ergeben. Um diese zu korrigieren, sehen
wir perspektivisch eine Ausweitung des Nulltarifs auf Studierende, Schüler*innen, Auszubildende,
Freiwilligendienstleistende und Menschen mit geringem oder keinem Einkommen als weiteren
unerlässlichen Schritt auf dem Weg zur dringend benötigten Mobilitätswende an.
Für Gespräche stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung und hoffen auf Ihre baldige
Rückmeldung.
Mit freundlichen Grüßen,
Verfasste Studierendenschaft der Hochschule der Medien Stuttgart
Allgemeiner Studierendenausschuss Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart
Allgemeiner Studierendenausschuss Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Mobilitätsinitiative 365stuttgart
Studierendenverband Die Linke.SDS Stuttgart
Jusos Stuttgart
Grüne Jugend Stuttgart
Genug ist Genug Studierende Stuttgart
Quellen:
1 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2022. Online aufrufbar unter: https://fragdenstaat.de/anfrage/demografie-studierende-bawue/
2 Positionspapier der Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg zum landesweiten
Semesterticket vom 08.09.2022. Online aufrufbar unter: https://lastuve-bawue.de/positionierung-landesweites-semesterticket/